Südhessen Morgen vom 6. März 2019
Von Uwe Rauschelbach
Schienenverkehr: Ortsbauernverband bringt Landwirte sowie Vertreter des Kreises, der Stadt und der Parteien zusammen / Landrat: „Am Konsens rüttelt keiner“
LAMPERTHEIM. Am vergangenen Freitag haben sie bei Neuschloß in einem Lichterzug gegen eine ICE-Trasse durch den Lampertheimer Wald demonstriert. Doch damit scheint es beim Widerstand gegen die ungeliebte Bahnstrecke nicht getan zu sein. Auf einer vom Lampertheimer Ortsbauernverband einberufenen Sitzung gab der Frankfurter Rechtsanwalt und Verwaltungsrechtler Matthias Möller-Meinecke den Kommunalpolitikern einige Hausaufgaben auf, die geeignet seien, die juristische Position der Region gegenüber der Bahn zu stärken. Lampertheims Ortsbauernverbands-Vorsitzender Gerd Knecht zeigte sich im Kreis seiner Berufskollegen – darunter auch Regionalbauernverbandschef Willi Billau –, sowie den politischen und administrativen Vertretern von Stadt und Kreis davon überzeugt: „In dieser Thematik müssen wir zusammenarbeiten.“ Indessen betonte Landrat Christian Engelhardt die Unverbrüchlichkeit des regionalen Konsenses, der eine weitgehende Bündelung der Neubautrasse mit den Autobahnen vorsieht: „An diesem Konsens rüttelt keiner.“ Er trage die Unterschriften der Land- und Bundestagsabgeordneten der Region.
Das Signal an die Bahn müsse klar sein: Regionale Bedürfnisse dürften nicht über Wirtschaftsinteressen stehen. Engelhardt verwies auch auf einen gemeinsamen Antrag der Landräte der südhessischen Kreise sowie der Stadt Darmstadt zum vierspurigen Ausbau der Neubaustrecke, um die Bestandsstrecken vom zunehmenden Güterverkehr und für den Ausbau des Personennahverkehrs zu entlasten.
Bila: Planerisches Provisorium
Auch der Sprecher der Lampertheimer Bürgerinitiative „Lebensraum vor ICE-Trasse“ (Bila), Ulrich Guldner, sieht im bislang geplanten zweispurigen Neubau lediglich ein Provisorium, das den prognostizierten Zahlen im Zugverkehr nicht gerecht werde. Thematisiert wurde bei diesem Treffen auch der Lärmschutz an den Bestandsstrecken. Rechtsanwalt Möller-Meinecke beantwortete eine entsprechende Frage von Bürgermeister Gottfried Störmer, der Ausbaustandard werde erst ab einer Verdoppelung der Güterzug-Zahlen angehoben. Gegenüber den Vertretern des Lampertheimer Naturschutzbundes, Andrea Hartkorn und Dieter Melchior, sagte der Jurist, der Schutz einzelner Pflanzen oder Tierarten sei nicht von vornherein ein ernst zu nehmendes Hemmnis für größere Verkehrsprojekte. Er riet aber dazu, das Fledermaus-Aufkommen im Bereich der gedachten Neubautrasse nachzuweisen.
Auf solche Gutachten sowie auf Fachplanungen stützte der Anwalt seine juristische Strategie, die er den Gegnern der Waldzerschneidungs-Trasse anempfahl. Möller-Meinecke riet den Vertretern von Stadt und Kommunalpolitik, die Bündelungstrasse im Landesentwicklungsplan als verbindliches Ziel festzulegen. Auch sollte die Stadt einen Lärmaktionsplan entwickeln, um gegenüber der Bahn Vorgaben machen zu können. Prognosen gingen davon aus, dass Güterzüge auf den bedeutenden Frachtkorridoren im Bremsabstand, also in dichter Folge hintereinander, verkehrten.
Laut Möller-Meinecke sollte die Stadt auch einen Fachplan Landwirtschaft als Ergänzung zum Landesentwicklungsplan erstellen, der den Schutz von landwirtschaftlichen Flächen betont. In einem Fachplan Naherholung wären nach seiner Auffassung die Waldflächen als Vorranggebiete auszuweisen. Empfohlen wurde auch eine Fachplanung, die den Artenschutz und den Biotopverbund sichert. Insgesamt gelte es, Argumente für die Bündelungstrasse fachlich nachzuweisen: „Da sehe ich die wichtigsten Argumente auf Ihrer Seite“, äußerte sich der Jurist zuversichtlich, was einen Rechtsstreit mit der Bahn betrifft.
Rechtliche Strategie
Bürgermeister Störmer erklärte anderntags auf SHM-Anfrage, das Zusammentreffen mehrerer in die ICE-Trassenplanung involvierter Interessengruppen sei zu begrüßen. Eine gemeinsame rechtliche Strategie aller Beteiligten sehe er jedoch nicht. Die Verwaltung werde den aktuellen Stand der bisherigen Fachplanungen überprüfen. Er riet aber, juristische Schritte dann zu unternehmen, wenn sie verfahrenstechnisch an der Zeit seien. Störmer kündigte ferner ein Treffen mit Vertretern der südhessischen Kreise und des Rhein-Neckar-Kreises an, um den Konsens auf eine breitere Basis zu stellen.
Kommentar: Im Widerstand vereint
von Uwe Rauschelbach
Ob Verwaltung, Politik, Landwirtschaft und Naturschutz: Alle eint der Widerstand gegen eine Schnellbahntrasse, die den Lampertheimer Wald zerschneiden würde. Ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Gemeinsamkeit hat die Lichterdemonstration am Freitagabend bei Neuschloß geliefert, bei der sich die Bevölkerung im Kampf gegen die sogenannte C-Trasse vereint hat. Auch die vom Ortsbauernverband einberufene Sitzung dokumentierte das übereinstimmende Interesse von Beteiligten unterschiedlicher Provenienz an einer Bahnplanung, die Rücksicht auf die Belange der Bevölkerung nimmt.
Der Veranstaltung, die der Ortsbauernverband auf die Beine gestellt hat, dürfte jedoch kein gemeinsames juristisches Vorgehen entspringen. Denn die Interessenlagen von Stadt, Landwirten und Naturschützern verlaufen mit Blick auf die anwaltlich empfohlenen Fachplanungen teilweise konträr. So im Fall des Naturschutzes, der die Landwirte nicht als Gleichgesinnte betrachtet. Aber auch im Fall des Landschaftsschutzes, der die Stadt mit ihrem Bedürfnis nach Ausweisung von Neubauflächen sowie bei Straßenverkehrsprojekten in eine Gegenposition zur Landwirtschaft bringt.
Treffendstes Beispiel hierfür ist die Umfahrung des Stadtteils Rosengarten, die aus Sicht der Stadt verkehrstechnisch wie wirtschaftlich notwendig ist, die von den Landwirten aber – zumindest mit dem Erfolg eines zeitlichen Aufschubs – beklagt wird. Die Landwirte werden dabei von dem gleichen Anwalt vertreten, der nun auch Empfehlungen für den gemeinsamen Widerstand gegen die ICE-Trasse ausgesprochen hat. Kaum vorstellbar, dass sich Stadt und Landwirte einmal als Gegner, einmal als Verbündete vor dem Kadi treffen – mit einem Anwalt, der einmal nur eine, das andere Mal beide Parteien vertritt.
Taktisch wohl auch nicht wünschenswert; denn je mehr Kläger gegen ein und dasselbe Projekt auftreten, umso stärker die blockierende Wirkung.
© Südhessen Morgen, Mittwoch, 06.03.2019