Lampertheimer Zeitung vom 23. September 2019
Von Meike Paul
Rund 3500 Demonstranten protestieren gegen „C-Variante“ der ICE-Neubautrasse
LAMPERTHEIM. Rote Luftballons als Symbol des Grauens: Nein, auf den Feldern Lampertheims war nicht Steven Kings Clown Pennywise unterwegs – hier sorgt vielmehr die Deusche Bahn für Grusel: Beim Protesttag der Bürgerinitiative Lampertheim (BILA) und ihren Unterstützern sollen die blutroten mit Helium gefüllten Kugeln daher den Verlauf der möglichen ICE-Trasse kennzeichnen.
Geradezu mahnend schweben sie über den Spargeläckern und der Heide, symbolisieren die Zerschneidung eindrücklich. Ende November soll es nun endlich eine Entscheidung geben. Gemeinsam will man Betroffenheit symbolisieren und das drohende Übel für Anwohner, Bauern sowie Natur und Klima abwenden. Die Chancen könnten dabei nicht ganz schlecht stehen, wie BILA-Kosprecher Ulrich Guldner nach dem Protest von 3500 Menschen hoffen lässt.
Michaela Mietzelfeld ist mit Gatte Marco sogar extra aus Mannheim gekommen. Beide sind mit neongelber und orangefarbener Warnweste zwei von vielen Protestierenden. Auf einem Rundweg von etwa 7 Kilometern haben engagierte Mitstreiter sieben Info-Punkte errichtet. So berichtet beispielsweise der Naturschutzbund an der Grube Feuerstein über das Artenvorkommen und dass die Trasse die Tierwelt hier stören könnte. Verlärmung sowie hohes Kollisionsrisiko beeinträchtigen dann nämlich auch die Vogelwelt und streng geschützte Fledermausarten. Wie alle anderen fordert deshalb auch das Mannheimer Paar, die Natur zwischen Lorsch und der Quadratestadt zu schonen. „Wir haben uns hier ein Grundstück gekauft, wollten ganz in der Nähe bauen“, erklärt Michaela Mietzelfeld ihren Beweggrund. Nicht nur, dass Wald und Wiesen gefährdet würden –auch die Zukunftsperspektive im Grünen schwindet für die Familie. Damit stehen die Mietzelfelders aber nicht alleine da. Etwa 4500 Menschen werden von BILA-Sprecher Ulrich Guldner erwartet: „Ein gutes Zeichen“, wie er findet und „auf das auch die Bahn aufmerksam wurde.“ Durch das Engagement der Bürger und die aktuelle Klima-Diskussion könnte ein Abrücken vom Wald gar nicht so unwahrscheinlich sein. „Wir müssen bedenken, dass dann nicht nur für die Trasse gerodet werden muss. Man braucht auch Abstand zum Baumbestand“, erklärt sein Kollege Karl Hans Geil. Außerdem müssten für schwere Gerätschaften Zufahrtswege geschaffen werden. „Vom Wald bei Neuschloß würde also nicht viel übrig bleiben“, ist er sicher. Am Spargelhäuschen informieren die Landwirte außerdem, über wertvolle Ackerflächen und die Produkte des regionalen Anbaus. Die Gewerbetreibenden befürchten eine Schwächung der Infrastruktur und einen Verlust der Arbeitsplätze. „Über 100 Unternehmen haben sich daher schon gegen die Trasse C ausgesprochen“,weiß Geil.
Am Stand der Bürgerkammer Neuschloß und unter der Organisation von Carola Biehal ist von einer Zerschneidung des Naherholungsgebietes mit Folgen für Mensch, Flora und Fauna und einer Verlärmung des Wohngebietes die Rede. Auch die Stadt Lampertheim hat sich deshalb dem Protesttag angeschlossen, macht auf die Zerstörung der Biotope am Beispiel Bruch aufmerksam. Im Vorfeld warb auch schon Bürgermeister Gottfried Störmer, der sich klar gegen die Zerschneidungsvariante positionierte, fürs Zusammenstehen. Guldner und Geil haben außerdem Jörg Cezanne (Die Linke), Mitglied des Bundestags,auf die Belange der Lampertheimer aufmerksam gemacht. „Man ist bereit,mehr Geld für Projekte auszugeben, um die Lebensqualität von Menschen und auch die Natur zu erhalten“, erklärt Cezanne. Neben dem Groß-Gerauer waren auch der Bergsträßer Landrat Christian Engelhardt, Staatssekretär Michael Meister, Landtagsabgeordneter Alexander Bauer (alle CDU) sowie Kreisbeigeordneter Karsten Krug, Erster Stadtrat Jens Klingler und Marius Schmidt (alle SPD) zugegen. Ob es am Ende auch für dieses Projekt reicht, werde sich zeigen. Sollte alles aber trotzdem nichts nützen, und die Deutsche Bahn trotz allen Widerstands an der „Variante C“ festhalten, werde man Einspruch einlegen. Auch hierfür zeigt sich die BILA kämpferisch.
Vorbildlich
André Heuwinkel zur Protestaktion
Sie haben gerufen und sie sind gekommen. Auch wenn die ersten Schätzungen noch mit leiser Vorsicht zu genießen sind, dürfte schon jetzt klar sein, dass genau das eingetreten ist, was sich BILA und Landwirte erhofft haben: den aufsehenerregenden Lichterzug vom März noch einmal zu übertreffen. Mission erfüllt, nennt man das wohl. Dabei sind aus der Demo von Sonntag mehrere Lehren zu ziehen. Die erste: Protest darf bunt, muss aber nicht immer schrill sein. Die Aktivisten und Ehrenamtlichen sind stets besonnen und informativ aufgetreten und suchen den Konsens. Das ermöglicht es ihnen, jedes demokratische Spektrum mit ins Boot zu holen. Lektion zwei: Spektakel ist keine Notwendigkeit, um Menschen zu bewegen. Eine sieben Kilometer lange Strecke erinnert zwar ein wenig an „Spargelwanderung reloaded“ und bietet keine überwältigenden Bilder komprimierter Menschenmassen – es kommt den Organisatoren schlicht auf den Inhalt an. Und drittens: Auf den politischen Rückhalt in Stadt, Land und Bund können sich die Lampertheimer verlassen. All das kann die Deutsche Bahn in ihrer Entscheidungsfindung nicht kalt lassen. Ansonsten wird dieser Winter ziemlich heiß.
© Lampertheimer Zeitung, Montag, 23.09.2019