Südhessen Morgen vom 2. März 2019
Von Uwe Rauschelbach
Demonstration: Rund 2000 Menschen haben gestern im Lampertheimer Forst bei Neuschloß ein Signal gesetzt
LAMPERTHEIM. Das hat der Lampertheimer Wald noch nicht gesehen: Rund 2000 Menschen haben gestern Abend auf dem Mannheimer Weg, der den Stadtteil Neuschloß mit Lorsch verbindet, gegen Planungen der Bahn demonstriert, die den Bau einer ICE-Trasse durch den Wald erwägt. Die Demonstranten bildeten mit Leuchtwesten, Taschenlampen und Handys einen langen Lichterzug. Er wurde von einem in Mannheim gecharterten Hubschrauber mit Medienvertretern mehrmals überflogen. Landwirte haben den Zug mit den Scheinwerfern ihrer Traktoren nach Süden verlängert. Laut Bürgerkammer-Sprecherin Carola Biehal waren die Radio- und TV-Sender Rhein-Neckar-Fernsehen (RNF) und Hessischer Rundfunk vor Ort. Für Bürgermeister Gottfried Störmer, der mit seiner Ehefrau an der Demonstration teilnahm, galt es „zu zeigen, dass die Bevölkerung wach ist“. Neben dem Lampertheimer Verwaltungschef wurde dessen früherer Amtskollege, Bürstadts Alt-Bürgermeister Alfons Haag, unter den Demonstranten gesichtet.
Bila äußert Zuversicht
Unter den Vertretern der Lampertheimer Bürgerinitiative „Lebensraum vor ICE-Trasse“ (Bila), wuchs gestern die Zuversicht, dass die Region mit der Forderung nach einer Bündelungstrasse bei der Bahn Gehör finde. Auch das Gespräch, das Vertreter der Lorscher Bürgerinitiative kürzlich mit Bundespolitikern in Berlin (wir berichteten) geführt hatten, stimmte die beiden Bila-Sprecher Ulrich Guldner und Karl Hans Geil optimistisch. Wenn es die Region schaffe, der Bahn einen Konsensvorschlag vorzulegen, werde dieser nicht ignoriert werden, ist sich Geil sicher. Klar sei: Eine Zerschneidung des Waldes werde die Bürgerinitiative nicht akzeptieren. Sie werde stattdessen auf eine Untertunnelung drängen. Priorität für eine Entscheidung durch die Bahn hätten allerdings wirtschaftliche Aspekte, wie Bila-Sprecher Guldner abwägt. Er beklagt mit Blick auf den bislang intransparenten Planungsprozess: „Die Bahn hält uns seit zweieinhalb Jahren hin.“
FDP will Klageweg beschreiten
Unter den Demonstranten waren auch zahlreiche Mandatsträger aller Parteien. FDP-Fraktionsmitglied Helmut Hummel zeigte sich im Gespräch mit dieser Zeitung entschlossen, einen fraktionsübergreifenden Antrag einzubringen, der die Stadt auffordert, den Klageweg gegen die Waldzerschneidung durch eine ICE-Trasse zu beschreiten. Er schloss sich damit den Lampertheimer Landwirten an, die ebenso Rechtsmittel einlegen wollen (wir berichteten). „Wir müssen aktiv werden“, so Hummel, „denn die Bahn kennt nur Druck“. Der Liberale kritisierte allerdings die Landesregierung, die sich bislang zu wenig für die Belange der südhessischen Bevölkerung interessiert gezeigt habe.
Unter den vielen Familien, die gestern am Lichterzug teilnahmen, war auch Alexander Leicht, der mit seiner Frau Carolin und Sohn Max im Lampertheimer Rosenstock wohnt. Ihnen kam es vor allem darauf an, sich mit den Bürgern von Neuschloß solidarisch zu zeigen. Bürgerkammer-Vorsitzende Biehal äußerte am Ende die Hoffnung, „dass die Bahn dieses Zeichen wahrnimmt“.
Kommentag: Beeindruckende Stärke
von Uwe Rauschelbach
Dieses Signal war nicht zu übersehen. In beeindruckender Stärke ist die Lampertheimer Bevölkerung dem Aufruf der Bürgerkammer Neuschloß und der Bürgerinitiative Bila gefolgt und hat sich am Protest gegen die drohende ICE-Trasse beteiligt, die den Lampertheimer Wald zerschneiden würde. Viele Teilnehmer wären zudem nicht unmittelbar von einem solchen Streckenverlauf betroffen; ihnen ging es aber um ein Zeichen der Solidarität mit der Bevölkerung von Neuschloß – und vielen Familien mit Kindern im Schlepptau um den Erhalt der Natur für künftige Generationen.
Diesen Protest wird die Bahn nicht ignorieren können. Um auf die Planungen tatsächlich Einfluss nehmen zu können, bedarf es im Zuge des Verfahrens aber mindestens zweierlei Mittel. Zum einen die Bildung eines Projektbeirats, in dem die Region mit politischem Druck ihre Ziele weiterverfolgen kann. Zweitens muss sich die Region noch einmal in eindeutiger Weise zur bereits gefundenen Konsenstrasse positionieren. Um beiden Instrumenten zur Durchsetzung zu verhelfen, steht noch ein drittes Mittel zur Verfügung: die Klage gegen die Bahn. Es dürfte das wirksamste Instrument sein, da es aus Sicht der Bahn die Wirtschaftlichkeit eines solchen Projekts am ehesten gefährden könnte. Auch hierzu scheint die Bereitschaft in Lampertheim hoch zu sein.
© Südhessen Morgen, Samstag, 02.03.2019